Es ist wohl einer dieser interessanten Zufälle, dass ich vor ein paar Tagen mal wieder in Susan Sontags Buch “Über Fotografie” geblättert habe und dabei ist mir folgendes Zitat aufgefallen:
Obwohl die Kamera eine Beobachtungssituation ist, ist der Akt des Fotografierens mehr als nur passives Beobachten. Ähnlich dem sexuellen Voyeurismus ist er eine Form der Zustimmung, des manchmal schweigenden, häufig aber deutlich geäußerten Einverständnis, daß alles was gerade geschieht, weiter geschehen soll.
In dem Text geht es dann weiter damit, ob Berufsfotografen nicht oft sexuelle Fantasien haben, wenn sie hinter der Kamera stehen und verweist auch auf den Film von Antonioni Blow up von 1967. Seitdem ich diese Zeilen gelesen habe, schwirren mir weiter die Gedanken, wie ich gewisse Aspekte der Fotografie handhaben und verstehen möchte.
Seit ich mit der Fotografie begonnen habe, freue ich mich natürlich wie jeder andere Fotograf über “schöne” Menschen im Bild. Ein schönes Lächeln, verbunden mit der “richtigen” Licht und der perfekten Perspektive und man hat ein gutes Foto. Ich bin damit immer sehr zufrieden, wenn ich Menschen so abbilden kann, wie ich sie kennengelernt habe und wir danach eine Auswahl von Bildern treffen, die beiden gefallen. Stromere ich dann so durchs Netz, sehe ich immer wieder Bilder von Frauen, die irgendwo (halb)nackt auf einem Bett liegen, sich lasziv an eine Wand oder einen Baum im Wald stellen oder absurde Posen einnehmen, die eine krasse sexuelle Ausstrahlung haben. Immer wieder sitze ich vor diesen Bildern und frage mich: Was soll das? Wo ist die Geschichte? Wo ist der künstlerische Aspekt? Und ganz oft finde ich auf diese Fragen keine Antworten, sondern nur viele Likes unter dem Bild und anzügliche Kommentare a la “Die hätte ich auch mal gerne vor der Kamera... ;)”
Ich bekomme dann schnell die Beklemmung, dass solche Bilder nicht gut sein können, wenn sie (meistens von “Kollegen”) solche Kommentare hervorrufen. Vor kurzem habe ich einen Artikel bei kwerfeldein.de von Corwin von Kuhwede zu dem Thema Aktfotografie gelesen und fand diesen Satz sehr interessant:
Ich behaupte, dass eine Vielzahl der Aktfotografen und Aktfotografinnen (nicht alle, aber eben viele) mit der Aktfotografie einen Teil ihrer eigenen Sexualität auf visuellem Wege ausleben.
Die Herangehensweise von Corwin ist sehr interessant und seine Bilder gefallen mir, da sehe ich eine Geschichte und die Kunst dahinter und ganz wichtig: den Respekt für das Model. “ Und so lange ich respektvoll mit meinem Modell umgehe, die entsprechende Distanz wahre und auf höchstem Niveau Bilder mache, dann finde ich, sind mir alle Gedanken und Gefühle erlaubt, die mir dabei helfen.“ schreibt Corwin weiter.
Ich versuche gerade die Reaktion auf die sexuellen Übergriffe in Köln zu verstehen, warum zum Beispiel die Oberbürgermeisterin Henriette Reker ungewollt Victim Blaming betreibt, wenn sie Frauen eine “Armlänge Abstand” empfiehlt. Bei solchen Reaktionen versuche ich zu verstehen, wo Fotografen in dem ganzen Diskurs stehen, weil wir “Abbilder” einer Realität schaffen - auch mit Frauen, die einfach so halbnackt an einem Baum lehnen. Denn ich möchte jetzt hier die provokante These aufstellen, dass Fotografen, die Frauen nur als Objekte sehen, als Models die jede Position und Outfit mitmachen und dann Fotos ohne Geschichte oder künstlerischen Anspruch in die Welt posten, eine Mitschuld daran tragen, wie Frauen in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden. Eine Freundin hat mir dazu auch gesagt, dass Frauen immer wieder für die Natur stehen und Männer für die Kultur. Das finde ich auch sehr interessant und werde mal schauen, wo es dazu weitere Texte gibt. Denn das führt mich zu diesem Gedanken:
Es ist natürlich schwer zu erklären, was ich mit einem künstlerischen Anspruch oder einer Geschichte hinter den Bilder verstehe und es gibt da auch keine pauschale Formel für das “gute” Aktbild. Wenn man sich aber beispielsweise die Arbeiten von Antje Kroeger Photographie anschaut, dann sieht man vielleicht was ich mit Kunst und Geschichten meine. Beispiel die letzte Serie “Die Essenz der Dinge”. Ich glaube bei den ganzen Diskussionen rund um Sexualität und Frauen, können Fotografen nicht außen vor sein, sondern wir müssen unsere Arbeiten überprüfen, noch stärker schauen, welches Bild wir vermitteln und verteilen. Vielleicht kann dann das ein oder andere Model auch mal angezogen bleiben. Am Ende der ersten Gedankenwelle möchte ich nochmal Susan Sontag aus “Über Fotografie” zitieren, damit sich Fotografen nicht gleich eine falsche Schuld zuweisen:
Die Kamera kann weder vergewaltigen noch in Besitz nehmen. Sie kann anzüglich sein, zudringlich werden, sich unbefugt Zutritt verschaffen, verzerrt darstellen, ausbeuten und, im weitesten Sinn des Wortes, morden - aber all dies sind Handlungen, die anders als der Geschlechtsakt, aus der Entfernung und auch mir einer gewissen inneren Distanz ausgeübt werden können.
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